Sturm der Liebe (SDL), ein TV-Serienname der zugegebenermaßen kitschig klingt und eine bessere Bezeichnung verdient hätte, knüpft mit einem intelligenten und wohl durchdachten Konzept an alte Elemente erfolgreicher Dauerserien wie „Dallas“ oder „Der-Denver-Clan“ (Dynasty) an ohne diese zu kopieren. Wer ein Fan von „Dallas“ war (obwohl „Dallas“ zum Genre der echten Serie gehört), wird „Sturm der Liebe“ gleichermaßen lieben, fast könnte man schon sagen, dass „Sturm der Liebe“ das deutsche „Dallas“ ist, wenngleich es nicht um Öl sondern um Familiengeschichten rund um ein Luxushotel geht. Telenovela heißt: Jeden Tag wird ein neues Serienkapitel aufgeschlagen und erzählt. Deshalb hat es die US-Serie bei einem wöchentlichen Sendeformat in etwa 10 Jahren nur auf rund 350 Folgen gebracht, was man mit 750 Folgen bis Ende 2008 bei Sturm der Liebe bereits nach 3 Jahren schaffen wird. Derzeit ist die Serie bis Folge 1070 konzipiert (Stand Januar 2009).
Das Erfolgsrezept ist einfach und doch professionell: Starke Charaktere, bekannte und angesehene Schauspieler (im Vergleich zu Soaps, meistens mit Newcomern besetzt), dramaturgischer Handlungsbogen und eine handwerklich ordentliche Umsetzung. Gregory B. Waldis als Alexander Saalfeld und Henriette Richter-Röhl als Laura Mahler waren das Quotentraumpaar schlechthin und haben die Fans bis zur Folge 313 auf Trapp gehalten. Mit der absoluten Herzlichkeit der Laura, der lustigen Tanja als Zimmermädchen (Judith Hildebrandt), der fiesen Cora (Claudia Wenzel), die als PR-Managerin und heimliche Geliebte des Hoteldirektors Werner Saalfeld (Dirk Galuba) ihre Intrigen strickt, dem schlecht gelaunten, ruppigen Küchenchef Robert (Lorenzo Patané) sowie vielen weiteren interessanten Figuren ist eine exzellente Mischung an Charakterrollen gelungen. Viele verschiedene Handlungsstränge werden durch „Zwischenschnitte“ abgetrennt. Bei Dallas waren das grundsätzlich immer Außenaufnahmen von Gebäudefassaden, bei SDL sind es wunderschöne romantische Außenaufnahmen von Oberbayern und München. Für die Außenaufnahmen des Fürstenhofs wurde ein Privatschloss im oberbayerischen Vagen ausgewählt, ein Ort zwischen Irschenberg und Feldkirchen, rund 60 km südöstlich von München. Außenaufnahmen sind ein bewusstes Stilmittel der Telenovela und auf Romantik angelegt. Aufgrund der sehr hohen Produktionsgeschwindigkeit von einer Folge pro Tag (produziert und aufgenommen wird digital auf Festplatte) werden die Videobilder bereits bei der Aufnahme über bestimmte digitale Trickfilter auf Romantik „getrimmt“ (warme, pastellene Farben, hohe Kontraste, Wolken, etc.), um die Nachbearbeitung so kurz wie möglich zu halten.
Das Konzept der Telenovela (Fernsehroman) kam Anfang der 1950er-Jahre ursprünglich aus Lateinamerika (Kuba) und unterscheidet sich grundlegend zu einer normalen Serie oder Seifenoper (Soap). Während eine normale Fernsehserie innerhalb einzelner Folgen abgeschlossene Handlungsbögen hat, jedoch über den Gesamtverlauf aller Folgen hinweg sich inhaltlich weiterentwickelt (z. B. Dallas, Schwarzwaldklinik, Ich heirate eine Familie etc.), sind bei Soaps die Handlungen und Handlungsstränge endlos, alle Charaktere sind gleichberechtigt, es gibt kein Anfang und kein Ende (z.B. Al Bundy). Die im Sprachgebrauch überwiegend falsch bezeichnete Fernsehserie ist fast immer eine Reihe, also in sich abgeschlossene Handlungsbögen innerhalb eines Fernsehreihen-Gesamtkonzeptes (z.B. Derrick, Der Alte, Die Profis, Die Zwei, 4400). Mischformen von Serie und Reihe sind z.B. bei Produktionen wie Akte X oder Star Trek Voyager zu finden.
Die Telenovela ist eine spezielle Fernseherzählkunst und wird von bestimmten Regeln definiert. Die Anzahl der Folgen (Kapitel) sind fest vorbestimmt, das Sendeformat ist ein tägliches, der Ausgang steht fest und endet in der Regel mit einem Happy-End. Die bekannteste Form der Erzählkunst ist die aus der Sicht des weiblichen Hauptdarstellers „Protagonista“, bei SDL bis Folge 313 durch Laura Mahler (Henriette Richter-Röhl) dargestellt. Telenovelas sind mit einem großen Handlungsbogen (Plot) angelegt. Bei SDL dauerte der erste Plot (Folge 1-313) bis zur Hochzeit von Laura und Alexander. Der Hauptplot ist wiederum in Unterplots von etwa 100-150 Kapiteln geteilt sind. In den Hauptplot werden verschiedene Nebengeschichten verwoben, wobei die Nebendarsteller mit den Hauptdarstellern irgendwie zu tun haben (Multiplots). Weitere Stilmittel sind der „Melos im Drama“, Mimik, Gefühle und Emotionen werden mit Musik und Soundeffekten unterlegt, die Protagonista erzählt mit dem Stilmittel des „Voice over“ aus dem „Off“, und bringt somit ihre Gedanken zum Ausdruck, vergleichbar mit der Romanerzählung. Mittlerweile findet ein Wortersatz im deutschen Sprachgebrauch statt, bei der auch Serien oder Soaps als Telenovela bezeichnet werden, was aber von der Bedeutung des Wortes her falsch ist.
Die Dramaturgie bei SDL wird durch konfliktreiche Stories erreicht. Es findet eine hohe Identifizierung mit dem jeweiligen Liebespaar, z.B. Laura und Alexander statt, die zueinander finden sollen, es aber nicht so ohne weiteres können. Das „Suchtverhalten“ der Serie wird u.a. durch einen „Cliffhanger“ am Ende einer jeden Folge erzeugt, d. h. grundsätzlich endet jede Folge mit einer offenen Frage oder einer dramatischen Situation. Verstärkt wird dieser Cliffhangereffekt im SDL-Abspann, der eine Minivorschau auf die nächste Folge zeigt, jedoch keine Fragen beantwortet, sondern eher weitere in den Raum stellt um die Neugierde auf das nächste Kapitel zu wecken. Man kann hier durchaus von einem „Doppel-Cliffhanger“ sprechen. Der Cliffhanger ist ein zentrales Element der Telenovela. Der Ausgang der Geschichte in einem Kapitel bleibt grundsätzlich offen und soll zum Einschalten der neuen Folge am nächsten Tag motivieren. Die SDL-Macher haben es geschafft, den Spannungsbogen der Serie so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, die beteiligten Akteure in komplizierte Beziehungsgeflechte zu verstricken und den Zuschauer darauf neugierig zu machen wie diese Konflikte gelöst werden. Das Konzept der Telenovela sieht hierfür ein festen Ablauf vor: Beginn und Entwicklung der Liebe, Sturz in tiefe Krisen, Trennung, Trauer, erneute Annäherung, Hochzeit, Happy End.Nicht ohne Grund zeichnen gleich 4 Personen allein nur für die Dramaturgie in „Sturm der Liebe“ verantwortlich.
Ein weiteres Element der Telenovela ist die Einbeziehung von aktuellen Themen. So werden, wenn auch nur zaghaft und zögerlich in den aktuellen Folgen (Folge 356ff) z.B. die Zwangsverheiratung (Plot mit Felix und Samia), die Krebserkrankung von Charlotte Saalfeld (ab Staffel 6, Folgen 51ff), Stalking (Staffel 15) oder z.B. der Umgang mit Komapatienten (Staffeln 14 und 15) thematisiert . In den Ursprungsländern der Telenovela wie z.B. Brasilien und Mexiko werden Telenovelas vom Fernsehsender in einen gestalteten Themenkomplex aus zeithistorischen und sozialkritischen Themen als Thementag/-abend eingebunden, wobei die Hauptelenovela in die Primetime gelegt wird. Davon ist „Das Erste“ aber noch weit entfernt. Ein Sendeplatz mit 15.10 Uhr ist kein Primetimeplatz und von der kritischen Einbindung in ein Senderumfeld ist weit und breit nichts zu sehen. Als angenehm kann die werbe- und unterbrechungsfreie Ausstrahlung von SDL angesehen werden. Das ist für Telenovelas eher unüblich. Natürlich ist dies ein nur untergeordnetes Argument für den DVD-Käufer.
Mit durchschnittlich 3,5 Millionen Zuschauern im deutschen Fernsehen (Folge 304: 4,89 Millionen) gehört SDL hierzulande zu der erfolgreichsten Telenovela überhaupt. Wenngleich in Südamerika Telenovelas teilweise mit enorm hohem finanziellem Aufwand bei Kulissen, Maske und Produktion produziert werden, ist die überwiegende Mehrheit der Telenovelas eher billig und schlecht produziert. Von dieser Betrachtung her rührt auch das Vorurteil, Telenovelas seien grundsätzlich Kitsch und Schund. SDL beweist u.a. mit einer sehr guten technischen Produktion und professionellem Autorengeschick, dass man die Form der Erzählkunst bei täglichem Produktionsdruck beherrscht.
Wünschenswert wären bei der SDL-Telenovela mehr Variationen in der Verwendung des Footagematerials (Zwischenschnitte) und eine erweiterte Palette an Soundeinspielungen, die sich, gerade beim Betrachten mehrerer DVD-Folgen hintereinander durch zu häufige Wiederholungen etwas störend auswirken. Dem Fernsehzuschauer dürfte das aber bei nur einer Folge täglich weniger auffallen.
Die Studiokulissen, die sich in den Bavaria Studios in Geiselgasteig befinden, sind für ein Luxushotel leider zu billig aufgemacht. Die an manchen Stellen zu „schallig“ klingenden Tonaufnahmen verstärken den Eindruck einer „Sperrholzkulisse“. Zudem gibt es bei SDL noch dazu eine unlogische Kulisse: Z.B. befindet sich der Hotelfahrstuhl direkt unterhalb der Hotelteppe. Offensichtlich fährt man mit diesem Hotelfahrstuhl in horizontaler anstatt vertikaler Fahrtrichtung. An manchen Stellen werden Synchron-, Schnitt- und Anschlussfehler sichtbar (z.B. in Folge 50), die den Zuschauer irritieren mögen. Dies sind wohl die deutlichsten Merkmale einer zeitlich ausgereitzten Mammutproduktion.
Kritiker von Telenovelas werfen diesen Serien Realitätsferne, Scheinwelt und seichte Handlungen vor (armes Mädchen trifft reichen Mann, die Familie ist dagegen). Auch für SDL sollte die Einbindung von sozialkritischen und aktuellen Themen noch stärker erfolgen, um diese über ein erfolgreiches Sendeformat zu transportieren. Das ist eine logische Konsequenz, denn der Plot „armes Mädchen, reicher Mann“ kann nicht bis in alle Ewigkeit wiederholt werden. Oder doch?
Für alle, die „zu nah am Wasser gebaut sind“, sollten eine große Packung Taschentücher bereitlegen. Die werden garantiert ihre Verwendung finden, denn auch mit dem Plot „Miriam und Robert“ fließen beim Betrachten der Folgen 189-520 nochmals gehörig die Tränen. Es ist zwar immer das gleiche, offiziell sieht sich auch keiner Telenovelas an, aber trotzdem sitzen wir alle heimlich vor der Glotze und weinen mit.